Wie Vorurteile den Alltag begleiten und Objektivität antrainiert werden kann

Posted by Julia on Sunday, April 11, 2021

Wer von euch kennt es nicht? Man sieht einen Menschen und steckt ihn sofort in eine Schublade, ohne ihn wirklich zu kennen. „Blondinen sind dumm“, „Lehrer haben mehr frei, als dass sie arbeiten“, „Arbeitslose sind faul“. Unser Alltag scheint von Vorurteilen durchzogen zu sein.

Warum aber machen wir das und was sind Vorurteile?

Betrachten wir das Wort Vorurteil einmal genauer, so kann man dieses in den Präfix „Vor“ und das Wort „Urteil“ splitten: Vor – Urteil. Das heißt ein Vorurteil betrifft den Zeitraum, bevor man sich ein Urteil bilden kann. Es handelt sich wohl um eine Meinung, die noch nicht fertig ausgereift und überprüft ist. In der Forschung ist der Begriff v.a. durch seinen Gehalt bestimmt, d.h. Vorurteile und andere Einstellungen unterscheiden sich durch eine soziale Unerwünschtheit. Ein Vorurteil liegt danach vor, wenn gegen Normen der

  1. Rationalität Das bedeutet, dass es sich um eine noch nicht überprüfte Vorstellung handelt.
  2. Gerechtigkeit und hier vor allem der Gleichbehandlung, d.h. dass Menschen anders/ungleich behandelt werden und
  3. Mitmenschlichkeit Die Menschen zeigen sich intolerant und ablehnend gegenüber anderen.

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Manchmal übernehmen wir sogar einfach die Meinung anderer. Es ist halt einfacher und die anderen werden es schon besser wissen. Sie werden schon Recht haben. Warum wir das machen? Das habe ich mich auch gefragt. Wahrscheinlich deshalb, um uns die Welt zu vereinfachen. Durch das Denken in bestimmten Kategorien fallen uns Entscheidungen leichter. Unser Denken ist dabei häufig antagonistisch geprägt, d.h. gegensätzlich wie bspw. Gut-Schlecht, Schwarz-Weiß. Wir beurteilen Menschen danach, ob sie gut oder schlecht sind. Wir beurteilen Gefühle danach, ob sie gut oder schlecht sind. Wir beurteilen Tiere danach, ob sie gut oder schlecht sind. Insgeheim denken wir also, dass wir eine einfachere Welt erschaffen können, die uns selbst nützt. Aber nehmen wir den Dingen und insbesondere Menschen dann nicht die Chance, sich zu verändern? Und nehmen wir uns damit nicht auch selbst die Flexibilität anders zu denken?

Nehmen wir das bildhafte Beispiel einer Gerichtsverhandlung, die mit einem Urteil endet: Glaubst du, dass ein richterliches Urteil frei von den Vorurteilen eines Richters ist?

Ist es möglich, das Urteil rein auf rationale Argumente zu stützen, ohne automatisch eine persönliche Bewertung vorzunehmen?

(Wie) Ist es möglich objektiv zu sein?

Ganz ehrlich: je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bezweifle ich das. Gerade in spontanen Aktionen schwingt doch immer auch ein Gefühl mit. Um bei dem juristischen Beispiel zu bleiben, so kennt jeder Jurist den sog. „objektiven Dritten“. Ich habe mir früher nie so richtig Gedanken darüber gemacht, aber kann es einen objektiven Dritten denn überhaupt geben? Durch ihn versucht man Situationen objektiv zu bewerten. Wie aber soll dieser Dritte aussehen? Und am Ende des Tages ist es eben doch wieder ein Mensch, der diesen Maßstab setzt. Dennoch könnte es doch vielleicht möglich sein, sich eine Objektivität anzutrainieren.

Gehen wir zurück zum Beispiel der Gerichtsverhandlung. Auch ein Richter ist ein Mensch, der von subjektiven Empfindungen, ersten Eindrücken, Gerüchen, Aussehen und Körpersprache seines Gegenübers getriggert wird. Das ist ja grundsätzlich auch nicht schlecht. Aber gerade der Richter muss doch ein objektives Urteil fällen. Damit ihm das gelingen kann, scheint es unverzichtbar zu sein, dass er sich darüber bewusst wird, dass er stets von subjektiven Empfindungen begleitet wird. Dass er sich damit auseinandersetzt, auf welche Empfindungen er besonders reagiert und wie er selbst Entscheidungen trifft. Selbsterkenntnis scheint also ein erster Schritt in die Objektivität zu ermöglichen.

Auch kann es helfen, sich die Fakten und Argumente aufzuschreiben und sich zu überlegen, ob es sich wirklich um ein objektives Argument handelt, oder ob dieses nicht vielmehr subjektiv geprägt ist.

Vor allem aber scheint Objektivität nicht spontan möglich zu sein. Muss man eine spontane Entscheidung treffen, handeln wir aus unserer Intuition heraus. Wir sind unseren bekannten Denkweisen verfallen und prägen unser Verhalten (wenn auch nur unterbewusst) subjektiv. Deshalb scheint die Zeitkomponente eine wichtige Komponente für mehr Objektivität zu sein. Nicht umsonst heißt es also, man solle eine Nacht darüber schlafen. Das beseitigt nicht nur den Druck, eine Entscheidung zu treffen, sondern gibt uns gleichzeitig auch ein wenig Abstand von der Materie.

Objektiv zu sein erscheint also durchaus möglich, wenn auch nicht einfach.

5 Gründe, warum man sich von Vorurteilen lösen sollte

Warum aber ist es überhaupt gut, sich von Vorurteilen zu lösen?

  1. Man sieht die Menschen mit anderen Augen
  2. Man lernt neue Menschen (auf andere Art und Weise) kennen
  3. Man ist offener und mitmenschlicher
  4. Man ist flexibler
  5. Es stärkt einen

Fazit

Unsere Welt ist voll von Vorurteilen. Diese brauchen wir häufig, um uns die Welt zu erklären und zu vereinfachen. Solange es Menschen geben wird, wird unser Verhalten und Denken stets von einer subjektiven Komponente geprägt. Rein objektiv zu sein ist für uns Menschen also alles andere als leicht, wenngleich aber möglich. Sich von Vorurteilen zu lösen kann dabei einen positiven Effekt für uns haben.

Sich die Welt durch Vorurteile zu vereinfachen bedeutet nichts anderes, als sich selbst die Chance auf Veränderung zu nehmen.

Was ist mit dir?

Hast du dir schon einmal bewusst gemacht, welche Vorurteile dein Leben begleiten?


  1. https://www.bpb.de/izpb/9680/was-sind-vorurteile ↩︎